JAHR

2021

ORT

Olten SO

AUFTRAGSART

Wettbewerb mit Präqualifikation

Zusammen mit Harry Gugger Studio, Westpol Landschaftsarchitekten, Schnetzer Puskas Ingenieure, Enerplan AG

BAUHERRSCHAFT

Stadt Olten

PROJEKT

Wer die Kirchgasse zum ersten Mal aufsucht ist erstaunt. Zwar bezeichnet ihr Name akkurat die Lage an der Stadtkirche St. Martin aber einen Gassenraum findet man nicht vor. In ihrer platzartigen Ausdehnung ist sie, wie die grosszügig dimensionierte Stadtkirche und das stattliche Munzingerschulhaus, vielmehr das gebaute Manifest des liberalen Aufbruchs der Ende des 18. und Anfangs des 19. Jahrhunderts die politische Landschaft und den Städtebau Oltens geprägt hat. Die Stadtkirche und das Munzigerschulhaus sind typische Zeitzeugen der Mediations- respektive Regenerationszeit. Dass sich beide Bauten in ihrem ursprünglichen Zustand befinden zeigt die grundlegende Wertschätzung des liberalen Gedankengutes welche die Schweiz geprägt hat.
In der geradlinigen Häuserzeile des Kunstmuseums hat sich einzig das Munzingerschulhaus unverändert erhalten während die Bauten Kirchgasse 8 und 4 ständigen Änderungen unterworfen waren. Mit der gleichen Entschiedenheit mit der wir den weitest möglichen Erhalt des Munzingerschulhauses anstreben, verfolgen wir den Neubau der Kirchgasse 8. Uns erscheint dieses Bauwerk durch die fortwährenden Umbauten erschöpft, an seiner Stelle soll ein zeitgemässes und nachhaltiges Gebäude entstehen.
Der umfassende Erhalt des Munzingerschulhauses kann bei den vielfältigen und sich überlagernden Anforderungen des Pflichtenhefts jedoch nur in seiner äusseren Erscheinung garantiert werden. Im Innern müssen Kompromisse getroffen werden da die Fragenbeantwortung die im Pflichtenheft zum Ausdruck gebrachte Forderung, dass der Bau Kirchgasse 8 «so genutzt werden (soll), dass sich auch Synergien mit dem Kunstmuseum ergeben können», stark eingeschränkt hat.
Da nun das gesamte diesbezügliche Raumprogramm innerhalb des für das Kunstmuseum vorgesehenen Bauperimeters realisiert werden muss fehlt der Spielraum um den Ansprüchen der Denkmalpflege umfassend gerecht zu werden. So muss z.B. das Dachgeschoss des Munzingerschulhauses zwingend genutzt werden um das geforderte Raumprogramm überhaupt abbilden zu können. Dies hat zur Konsequenz, dass eine effiziente, durchgehende vertikale Erschliessung innerhalb vom Bestandsbau realisiert werden muss.
Die radikale Einfachheit unseres Entwurfs ist also zweifach bedingt. Einerseits sollen die städtebauliche Fassung und der architektonische Ausdruck das Munzingerschulhaus weiterhin als Dominante der Häuserzeile erscheinen lassen. Andererseits erfordert das beschränkte Platzangebot eine äusserst effiziente Raum- und Erschliessungsstruktur. Es gibt folglich nur einen Lift und ein Treppenhaus welche ein sorgfältig austariertes Raumgefüge erschliessen.


Zwei Massnahmen prägen den Städtebau: Um den Übergang von der Kirchgasse zum Muntzingerplatz grosszügig zu gestalten und die Volumetrie des Bestandsbaus in den Vordergrund zu rücken wird der Anbau des Kunstmuseums, soweit es die Raumansprüche des Museums zulassen, nach Osten zurückgesetzt. Und im nördlichen Bereich des Wohn- und Geschäftshauses orientieren sich die Abmessungen des Neubaus an der Tiefe und Höhe des Bestandsbaus der Kirchgasse 4.
Die Kirchgasse erfährt eine stadträumliche Öffnung zwischen dem Kunstmuseum und dem Restaurant Gryffe. Eine ähnliche Situation ist im Vorbereich der St. Martins Kirche erlebbar. Durch die Aufweitung der Kirchgasse in diesen Bereichen entstehen zwei Platzräume, welche die Kirchgasse und den Munzingerplatz grosszügig verbinden.

Der Zugang zum Museum befindet sich beim historischen Eingang an der Kirchgasse und bildet einen kleinen, leicht erhöhten Vorbereich, der über eine hindernissfrei Rampe und eine Treppenanlage erreicht wird. Der Platz vor dem Restaurant Gryffe wird durch die Aussenrestauration belebt und führt die Stadtbesucher unter altem Baumbestand Richtung Munzingerplatz.
Der neu gestaltete Platz der Begegnung wirkt als Lichtung umgeben von neu gepflanzten Laubbäumen wie Zelkovie, Eschen- und Eichenarten. In seiner Mitte ist ein rundes Wasserbecken mit Sitzrand angeordnet. Begleitet wird das runde Becken von kleinen Strauch- und Staudenpflanzungen, die angenehme Aufenthaltsorte schaffen und dem Platz eine einladende Atmosphäre verleihen.
Die Ränder zu den umgebenden Gebäuden sind unterschiedlich gestaltet und schaffen einen Dialog zwischen Innen- und Aussenraum. Entlang des Hauses der Museen wird eine mit Bäumen bepflanzte, chaussierte Fläche für eine Aussengastronomie angeboten. Die Stufenanlage am westlichen Platzrand wird aufgehoben und durch eine leicht modellierte Topographie ersetzt, die einen fliessenden Übergang zwischen den Gärten und dem Platzraum herstellt. In dieser Fläche wird ein Spielbereich eingerichtet. An heissen Sommertagen bietet sich den Kindern auch eine Abkühlung im Wasserbecken.
Das Museum selbst erhält einen eigenen, umgürteten Gartenbereich, der als Aufenthaltsbereich und Ausstellungsraum genutzt werden kann. Die Abgrenzung zum öffentlichen Raum wird durch eine kleine Sockelmauer und einen Staketenzaun gebildet. Die Zufahrt für den An- und Abtransport von Kunstgütern erfolgt über die Konradstrasse auf den Munzingerplatz. Dort kann der LKW rückwärts via Museumsgarten direkt in das Gebäude gefahren werden. Die geforderten Parkplätze werden innerhalb der bestehenden Parkierung auf dem Munzingerplatz angeordnet.


Unser Entwurf für das Kunstmuseum ist geprägt von der ausgewogenen formalen Struktur und der entsprechenden Materialität des Munzingerschulhauses. Der Anbau übernimmt diese Elemente um sie in seiner Abwicklung zu abstrahieren. Während die Materialität durchgehend gleich bleibt wird der formale Ausdruck zunehmend beschränkt. So werden die historische Entwicklung und die Anordnung des grossen Ausstellungssaals in seiner hermetischen Form ablesbar. Die klare Fassung und ausgeprägte Haptik des Kalksteinsockels erlaubt das Einfügen unterschiedlichster, den Nutzungen entsprechenden Öffnungen: Arkadenfenster für den Veranstaltungsraum, ein verglastes Tor für die Anlieferung und ein Schaufenster für die saubere Werkstatt.
Das Gebäude Kirchgasse 8 übernimmt den Untergurt des Sockels und die Traufkante sowie die Firsthöhe, entwickelt ansonsten aber ein eigenständiges Bild eines zeitgenössischen Wohn- und Geschäftshauses und betont, entsprechend den grosszügigeren Öffnungen, vermehrt die Vertikale. Durch die Übernahme des Untergurtes im Sockel und dem gleichzeitigen Wechsel auf eine offene Fassadenstruktur im Erdgeschoss gelingt auch die Verbindung zwischen dem geschichtsträchtigen Museumsbaus und dem Wohn- und Geschäftshaus an der Kirchgasse 4.
Die nach oben schmaler werdenden Fenster reflektieren die Nutzung der dahinterliegenden Räume, im EG als Schaufenster, im 1. / 2. OG als Französische Fenster für die Geschäfts- / Wohnräume und im 3. OG als Zimmerfenster. Die zunehmende Lichtintensität in den oberen Geschossen kompensiert den geringeren Fensteranteil. Die Materialität des Wohn- und Geschäftshauses orientiert sich ebenfalls am Munzigerschulhaus. Allerdings erfahren der Sockel und die Gewände eine zeitgenössische Interpretation und werden in sandgestrahltem Kunststein gehalten.